Am 26.11.2023 fand eine Ehrung von Niklaus Brantschen im Lassalle-Haus statt, der nun aufgehört hat Zen-Kurse zu geben. Es kamen über 130 Besucher zu diesem Sanghatreffen. Niklaus Brantschen hat eine Handvoll Menschen ausgesucht, mit denen er unterwegs war und die er gebeten hat, ein paar Worte über ihn zu sagen. Ich durfte einer von den Fünfen sein. Hier findest du meine kleine Würdigung von Niklaus…

Ikkyu schrieb:
“So sollte ein Zenmeister leben:
Ein alter Pflaumenbaum,
der plötzlich 1000 Blüten treibt.”

Ein weiser Mensch sagte einmal:

Dieser weise Mensch ist Niklaus Brantschen.

Ich bin der einzige Zen-Lehrende in der hier versammelten Zen-Lehrenden-Sangha, der Schüler von Pia Gyger war, weshalb ich sowohl Pia, als auch Niklaus wertschätzen möchte.

Anfang der 90er Jahre war ich an Sesshins bei Pia im jurassischen Lucelle, nahe der französischen Grenze, noch bevor das Lassalle-Haus Bad Schönbrunn durch dich, lieber Niklaus, 1993 seinen Namen erhielt, durchstartete und abhob.

Während meines ersten Zen-Sesshins bei Pia befand ich mich in einer existenziellen Notsituation, die mit einem tiefen Verlust verbunden war. Pia hatte eine sehr mitfühlende Seite. Sie konnte mich im Dokusan in meinem Schmerz auffangen und mir den Raum geben, den ich brauchte und ihn halten. Zen unter Pias Anleitung erlaubte es mir, inmitten meiner tiefen Trauer zu sein, ohne von Gedanken über den Verlust überwältigt zu werden. Dies war für mich der Ausgangspunkt meiner transformativen Reise, die mir half, Frieden zu finden und mit der Trauer umzugehen.

Vielleicht erging es dir ähnlich lieber Niklaus, als du durch den Verlust deines Bruders, der beim Klettern abstürzte, in jungen Jahren selbst eine existenzielle Grenzerfahrung erlebtest, die dich motivierte einen spirituellen Lebensweg bei den Jesuiten und später im Zen einzuschlagen. Alle, die wir uns hier versammelt haben, tragen womöglich verschiedene persönliche Geschichten von Verlust, Schmerz oder existenziellen Grenzsituationen mit uns. Es ist die Leidfähigkeit, die uns menschlich macht und die uns mit allen Lebewesen mitfühlend verbindet. Heute befindet sich die Menschheit an einer existenziellen Grenzsituation und wir werden nur dann überleben, wenn wir genügend Einsicht und Mitgefühl für uns selbst und alle anderen Lebewesen aufbringen werden.

Ich habe aus transformativer Begeisterung in den 90er Jahren, wenn ich das Einrichten konnte, an nahezu allen Sesshins bei Pia teilgenommen und war auch in Kontemplationskursen im Fernblick, dem Bildungshaus des Katharinawerks in Teufen. Durch Pia kam ich zu Aitken Roshi in Hawaii und zu Masumichi Yamada und Kubota Roshi nach Japan; und wenn ich das Bedürfnis nach noch mehr Zen hatte, kam ich zu dir Niklaus.

Pia und du, ihr wart in euren Teishos und Dokusans ganz unterschiedlich. Du hattest einen intelligenten Wortwitz gepaart mit Strenge, während Pia mit visionärem Mitgefühl und “fordernder Liebe”, wie sie es nannte, ihre und eure Projekte vorantrieb.

Pia wollte im Dokusan wissen, wie es mir persönlich wirklich – wirklich! – geht und sie wollte, immer wenn ich ein Koan gelöst hatte, wissen was das mit mir in meinem Alltag macht, wie es mich und meinen Alltag verändert, transformiert.

In deinem Buch «Ich habe zu wenig geflucht», schreibst du:

«Pia forderte mich oft auf, von meiner Seele zu erzählen. Sie wollte wirklich wissen, wie es mir geht. Am Anfang war ich relativ hilflos im Erzählen. Dann lernte ich immer mehr und mehr wahrzunehmen, wie es mir geht und was ich empfinde.»

Pia hatte eine einfühlsame, psychologische Seite, machte aber auch glasklar, dass Zen über das Nur-Psychologische hinausführt mit ihrem Diktum: «Zen ist die Direttissima in die Einheit und Leere!» In ihren Teishos buchstabierte sie unermüdlich Taillard de Chardin, Jean Gebser und Ken Wilber hoch und runter, was mich motivierte, mich vertieft mit Entwicklungspsychologie auseinanderzusetzen und nach reicher Erfahrung mein Buch «Achtsame Selbstentwicklung» zu schreiben, welches 2023 erschienen ist. 2004 erhielt ich, zusammen mit Erwin Egloff, von euch beiden die Lehrerlaubnis als weitaus jüngster Sensei unserer Lehrendensangha, wofür ich euch sehr dankbar bin.

In deinen Sesshins, lieber Niklaus, liebte und schätzte ich die Leichtigkeit deines pointierten Humors und deine sprachakrobatischen Fähigkeiten, mit denen du Menschen in ihren alltäglichen Sorgen, Ängsten und existenziellen Wünschen zu inspirieren weisst.

Als ich zum ersten Mal bei dir im Dokusan war, erlebte ich aber auch deine entschiedene Strenge. Man durfte im Dokusan ausschliesslich im Kesa-Hocksitz vor dir sitzen, durfte beim Kinhin nicht auf die schwarzen Nähte der Tatamis treten und weil mein Mumonkan (= eine Koansammlung) vom vielen Gebrauch ziemlich verbraucht aussah, mahntest du mich an, dieses besondere Buch mit Sorgfalt und Respekt zu behandeln. Diese Strenge weicht nun im Alter einer immer grösser werdenden Milde.

42 Jahre warst du mit Pia ein «zölibatäres Liebespaar» und als solches eine Herausforderung für die Katholische Kirche. An Weihnachten 1972 kreuzten sich eure Wege. Die Kinder, die ihr zusammen auf die Welt gebracht habt, waren Eure Projekte. Du hast einmal geschrieben:

«Allein ist jeder von uns stark, aber gemeinsam sind wir sackstark.»

Euer Zusammenspiel als Paar war nicht ohne Konflikte, aber auch von einem tiefen Humor geprägt. Humor ist eine wichtige Coping-Strategie und grosse Ressource, um mit Konflikten und Schwierigem gelingend umgehen zu können.

Du hast stets Konflikte angesprochen und aktiv das Gespräch gesucht, wenn du mit etwas nicht einverstanden warst. Du hast auch stets deine Position vertreten. Das kennen wir auch aus unseren Zen-Lehrenden-Treffen mit dir. Und ob man das nun jeweils mag oder nicht: da weiss man genau, woran man ist. Du schreibst, du seist in Bezug auf Pia oft etwas zu sehr der «Macho» gewesen, «der auf jeden Fall darauf bedacht war, nicht zu kurz zu kommen.» Ein «Alphatierchen» – was gewiss auch auf Pia zutrifft – und ihr habt gemeinsam scherzhaft die drei Buchstaben «B-I-G» geprägt, die bedeuteten: «Bescheidenes Imponier-Gehabe».

Zusammen habt ihr wegweisende Projekte ins Leben gerufen:

Das alles waren eure visionären Kinder, die ihr gemeinsam zur Welt gebracht habt, die laufen gelernt, sich verändert haben, teils geendet haben oder langsam erwachsen und selbständig geworden sind.

Du betontest stets die Bedeutsamkeit von «Partnerschaftlichkeit und Gleichberechtigung als Beitrag zum notwendigen planetaren Bewusstseinswandel».

«Wirklich Neues entsteht nur,» schreibst du, «wenn Mann und Frau eine Kultur der Partnerschaft und Gleichberechtigung pflegen.» Und alle kennen dein “geflügeltes Wort”: «Die Menschheit ist  wie ein Vogel mit den beiden Flügeln Mann und Frau. Wenn ein Flügel nicht gleich entwickelt ist, haben wir einen schrägen Vogel, der nicht vom Fleck kommt

Die Herausforderung, Gleichberechtigung in verschiedenen Institutionen, wie unseren Beziehungen und Familien, in Politik und Wirtschaft und letztlich auch der Kirche und im Zen zu etablieren, ist und bleibt eine Herkulesaufgabe. Denn Genderungerechtigkeit ist global präsent und behindert auch Klimagerechtigkeit.

Lieber Niklaus, du hast dich immer wieder bemüht Gendergerechtigkeit herzustellen, etwa indem du dich mit starken Frauen wie Pia Gyger und Anna Gamma an deiner Seite auseinandergesetzt hast, und so wurden auch Erna Hug, Hildegard Schmittfull, Kathrin Stotz und heute Ursula Popp zu Zen-Lehrenden ernannt, damit dieser Vogel: die Glassman-Lassalle-Zen-Linie nach und nach auch immer ein bisschen gerader fliegen lernt.

Du hast den weisen Satz verfasst, lieber Niklaus: «Der Mensch ist nicht, was er „macht“; er ist nicht, was er „hat“; er ist nicht, was er „ist“; er ist, was er liebt.» Es bliebe anzufügen: “und wen er liebt”. Und du lebst uns vor, wer man ist, wenn man das tut, was man liebt und wenn man einen Menschen liebt.

Danke dafür lieber Niklaus!

7 Antworten

  1. Lieber Peter, ich danke dir von Herzen für diesen Text, für deine treffenden Worte. Mit deiner Würdigung von Niklaus Brantschen schenkst du mir einen persönlichen Einblick ins Leben von Pia und Niklaus, den beiden grossartigen Menschen, die sich mit ihren Projekten für persönliche sowie zwischenmenschliche Weiterentwicklung einsetzten. Dein Text inspiriert mich und gibt mir Mut an meinen Projekten, Ideen dranzubleiben und niemals aufzugeben. Ich grüsse dich herzlich Marlyse
    PS: vielleicht sehen wir uns zur Metta-Meditation im Lassallehaus.

  2. Deine würdigenden Worte könnten nicht trefflicher sein für Niklaus und Pia, so wie ich sie kennenlernen durfte. Niklaus war mein erster persönlicher Kontakt mit der Zen-Welt. Bei dieser Gelegenheit haben mich seine Worte „Wir werden Dir nicht sagen, was Du glauben sollst, sondern Dir einen Raum bereiten, in dem Du DEINE Wahrheit finden kannst“ echt aus dem Socken gehauen. So mutig sollten Kirchen und andere religiöse Institutionen sein!
    Ein Sesshin mit Pia, Niklaus und Anna in der Negev-Wüste ist mir in bleibender Erinnerung, bei dem ich auch ein Dokusan mit Pia hinter einem der wenigen Büsche in der kargen Landschaft hatte.

  3. Sehr schön geschrieben Peter, so wie du eben bist, sensibel, feinfühlig, humorvoll, leichtfüssig, heiterernsthaft, hochgebildetschlicht etc.
    Niklaus Brantschen hat mich auch tief beeindruckt durch seine Bücher, die ich teilweise mehrmals gelesen habe.

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