„Willkommen im Zeitalter der Unsicherheit!“ Diese Aussage klingt fast wie ein Werbeslogan – und dennoch beschreibt sie das Lebensgefühl vieler Menschen heute. Die Welt wirkt zunehmend chaotisch: Klimawandel, wirtschaftliche Instabilität, geopolitische Spannungen. Die scheinbare Unordnung schafft ein Gefühl der Bedrohung, und wie in jeder Krise wünschen sich Menschen Sicherheit. Das ist der Nährboden, auf dem autoritäre Politiker weltweit wachsen und gedeihen.
Warum aber setzen wir unser Vertrauen in starke Führungsfiguren, denen es um Macht und persönliche Vorteile geht und die eindeutige Feindbilder benennen und Gesellschaften polarisieren? Die Antwort hat viel damit zu tun, wie wir als Individuen und Gesellschaften unsere Wirklichkeit konstruieren und auf Gefahren und Unkontrollierbarkeiten reagieren. In verschiedenen Stadien der menschlichen Entwicklung, von den früheren bis zu den späteren, erleben wir die Welt mit sehr unterschiedlichen Augen.
1. Die Sehnsucht nach Ordnung in einer chaotischen Welt
In krisenhaften Zeiten stellen viele Ordnung und Stabilität über alles. Wenn wir vor großen Ungewissheiten stehen, wirken klare, polarisierende Positionen wie eine Einladung in eine vermeintliche Sicherheit. Ein starker Anführer scheint hier genau das zu bieten. Er verspricht, die Dinge unter Kontrolle zu bringen, sei es durch strikte Regeln, eine klare Vision oder durch den Ausschluss vermeintlicher „Übeltäter.“
Der starke Anführer verspricht eine Rückkehr in den sicheren Hafen einer glorifizierten Vergangenheit. Es ist ein Versprechen, dass die komplizierte Welt doch noch einfach und überschaubar gemacht werden kann. In früheren Stadien unserer Individualentwicklung denken und handeln wir oft auf eine Weise, die klare Strukturen bevorzugt, die uns das Gefühl von Kontrolle, Stabilität, Identität und Sicherheit vermittelt.
2. Die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen
Je komplexer die Welt, desto größer die Versuchung, auf einfache Erklärungen zurückzugreifen. „Die Probleme sind eindeutig die Anderen!“ „Mit der einzig richtigen, wahren Lösung kann alles besser werden!“ – Solche Botschaften klingen verlockend, weil sie das scheinbare Chaos in eine einfache Geschichte fassen, die die meisten begreifen können.
Die menschliche Neigung, komplexe Probleme auf eine einfache Lösung zu reduzieren, ist in unserer Geschichte tief verwurzelt. Unsere Vorfahren waren darauf angewiesen, schnelle Antworten zu finden und klare Entscheidungen zu treffen, um ihr Überleben zu sichern. In Zeiten der Unsicherheit und der Krise kommen diese Reflexe wieder hoch – und ein starker Führer, der „einfache Wahrheiten“ bietet, hat leichtes Spiel.
3. „Wir gegen die Anderen“
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Insel gestrandet, umgeben von fremden Stämmen. Wen würden Sie an Ihrer Seite wollen? Vermutlich eine entschlossene, klare Persönlichkeit, die sich dem Schutz der Gruppe verpflichtet fühlt. Dieses „Wir gegen die Anderen“-Gefühl ist tief in uns verankert und wird besonders in Krisenzeiten geweckt. Wenn die eigene Identität durch klimatische, ökonomische und geopolitische Krisen bedroht scheint, suchen wir Schutz in der Gemeinschaft Gleichgesinnter, einer Nation und folgen einem starken Anführer, der verspricht, diese Gemeinschaft zu verteidigen.
Autoritäre und populistische Führungsfiguren greifen genau auf diesen gruppenzentrierten Reflex zurück. Sie präsentieren die Nation und das eigene Volk als eine homogene Gruppe, die sich gegen äußere Bedrohungen verteidigen muss. Es ist eine einfache, aber mächtige Erzählung, die Zusammenhalt und Zugehörigkeit schafft und die kollektive Identität stärkt.
4. Achtsam wachsen – eine Alternative!
Die Frage bleibt: Sind wir dazu verdammt, immer wieder auf autoritäre Führung zu setzen, wenn die Welt unsicher wird? Nein. Aber es erfordert, dass wir als Gesellschaft einen Schritt weitergehen – dass wir die innere Ressourcen kultivieren, die uns befähigen, mit der Komplexität und Ungewissheit des Lebens auf neue Weise umzugehen. Das bedeutet, zu lernen, Widersprüche zu akzeptieren, mit Mehrdeutigkeiten und Ungewissheiten zu leben. Dazu können uns Achtsamkeit und Meditation helfen – weil sie uns in eine wahrnehmende Unwissenheit führen, eine offene innere Haltung aus der wir fähig werden, in Gelassenheit sein zu können, mit dem was ist, d. h. akzeptierend mit Ungewissheit und Hilflosigkeit umzugehen.
Das bedeutet auch zu erkennen, dass die Herausforderungen oft nicht von außen, sondern von innen, aus uns selbst, kommen. Ein wichtiger Teil unserer Entwicklung besteht darin, dass wir uns von einfachen Geschichten und starken Führern lösen und die Verantwortung für die eigene Perspektive und das eigene Handeln übernehmen!
5. Schlussgedanken: Ein Weg zur inneren und äußeren Reife
Die Tatsache, dass autoritäre Führung weltweit so attraktiv ist und wir unsere Sehnsüchte nach Sicherheit, Klarheit und einfachen Lösungen auf sie projizieren, zeigt uns, wie viel Potenzial für Wachstum in uns liegt. Ein reifes Miteinander entsteht nicht durch äußere Strukturen allein, sondern durch die Fähigkeit jedes Einzelnen, eine reifere, weisere, umfassendere Sicht auf das Leben zu entwickeln. Denn echte Freiheit – und echte Demokratie – entsteht erst dann, wenn wir auch bereit sind, die Verantwortung für unsere eigene Wahrnehmung und unser eigenes Handeln zu übernehmen.
Wenn wir beginnen, uns als Teil eines größeren Ganzen zu sehen und lernen, in der Ungewissheit offen und menschlich miteinander umzugehen, um gemeinsam Chancen zu entdecken, dann können wir die Notwendigkeit für starke Führer hinter uns lassen und den Weg für eine menschenwürdige, demokratische Zukunft ebnen.