Autor: Peter Widmer

rush hour

Stress wird häufig als „die Krankheit der Gegenwart“ bezeichnet. Nahezu alle Menschen wissen, wie es sich anfühlt, wenn Beruf und Lebensalltag sehr fordernd und die eigene Agenda übervoll ist. Viele fühlen sich angespannt, überlastet, reagieren hektisch, nervös oder gereizt. Stress gehört zum Leben. Als sog. “positiver Eustress” vermag er die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Aber negativer  Stress, man spricht in diesem Zusammenhang von “Disstress”, kann krank machen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Stress als “eine der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts” bezeichnet. Die Statistiken sind alarmierend. Mehr als ein Drittel der Menschen in der Schweiz und auch in Deutschland geben in Umfragen an, unter Dauerstress zu stehen. Jeder fünfte leidet unter gesundheitlichen Stressfolgen. Die Kosten für unser Gesundheitswesen sind enorm.
Doch unzählige wissenschaftliche Studien belegen: Meditation ist einer der effizientesten Wege, um Stress zu reduzieren und das psycho-physische System zu Ruhe, tiefer Entspannung und innerem Frieden kommen zu lassen.[1. Siehe: Benson, H: The Relaxation Response, Harper Torch, 2000.  Sowie: Lazar, S.W., Bush, G., Gollub, R. L., Fricchione, GL, Khalsa, G, & Benson, H: Functional brain mapping of the relaxation response and meditation, in: NeuroReport, 11(7), 2000, 1581-1585.]

Was im Körper geschieht, wenn Stress entsteht?

Bei einer Stressreaktion wird das sympathische Nervensystem aktiviert.[2. Siehe dazu und zum Folgenden: Benson, H: The Relaxation Response, Harper Torch, 2000, ; sowie: Walach, H: Spiritualität – Warum wir die Aufklärung weiterführen müssen, Drachen Verlag, 2011, 104-133.] Zentren im Stammhirn werden aktiviert, die das Herzkreislaufsystem beschleunigen, das Nebennierenmark wird aktiviert und Adrenalin und Noradrenalin werden in die Blutbahn ausgeschüttet. Diese Hormone führen dazu, dass durch die erhöhte Kreislaufaktivität mehr Blut und die entsprechenden Nährstoffe in die Muskeln und ins Gehirn transportiert werden. Alle Stoffwechselprozesse werden aktiv, die Herzfrequenz wird beschleunigt, der Blutdruck erhöht, der Abbau von Energiereserven nimmt zu, damit genügend Energie zur Verfügung steht. Die Abwehrbereitschaft des Immunsystems wird kurzfristig erhöht. Auf einer zweiten, langsamer aber dafür länger dauernd wirkender Achse wird ein zweites System aktiviert, das über die Hirnanhangdrüse das umgangssprachlich als Stresshormon bezeichnete ACTH (adrenocorticotropes Hormon) in den Blutkreislauf abgibt, das die Nebennierenrinde aktiviert, wo unter anderem Cortisol ausgeschüttet wird, das ebenfalls das Aktivitätsnieveau des Organismus langfristig steigert und Stoffwechselprozesse mit Energie versorgt. Diese zweite Achse wirkt synergistisch mit der ersten und ist stärker auf die langfristige Bewältigung von Belastung ausgelegt.

Ist die Belastung vorüber, werden diese Prozesse im Normalfall zurückreguliert, indem das parasympathische System stärker aktiviert wird, das für Müdigkeit und Entspannung zuständig ist, so dass Erholungs- und Aufbauprozesse beginnen können. Wir werden müde, legen uns schlafen, werden hungrig, essen oder geben uns einer erholsamen Tätigkeit hin. Normalerweise merken wir an unseren Gefühlen und Körpersignalen, dass Zeit für Entspannung und Erholung ist. Doch wie die Zahlen der Stresserhebungen in der Bevölkerung deutlich zeigen, haben wir es im Laufe unserer Erziehung und Anpassung an unser Gesellschaftssystem verlernt, auf unsere Körpersignale und unsere Gefühle zu achten und sind wir uns oftmals auch gar nicht im Klaren, welche Art von Entspannung uns wirklich guttut und was wir wirklich brauchen, um uns gut zu erholen. Von Managern höre ich zuweilen geflissentlich die pure Leugnung: „Stress und Burnout existieren für mich nicht!“ Oft sind wir innerlich zu weit entfernt von unseren eigentlichen Bedürfnissen und nicht wirklich in Kontakt mit uns selbst und unserem Körper, als dass wir in stressvollen Situationen in der Lage wären, die im Moment passende Entscheidung für uns treffen. In der Regel sind wir sehr stark von gesellschaftlich vorgegebenen Normen, innerbetrieblichen Abläufen und Strukturen, Zeitdruck, Über- oder Unterforderung, mangelnder Anerkennung und damit von Meinungen und gesellschaftlichen Idealbildern bestimmt und haben nicht die innere Kraft, konsequent für das einzustehen, was uns wirklich gut tut und was unser Körper benötigt: Erholung, Entspannung, physiologische Ausgeglichenheit. Uns fehlt das Sensorium für unseren Körper und für die Missstände, die der Stress hervorrufen kann. Wir müssen erst unsere Wahrnehmung dafür schärfen, uns bewusst distanzieren, über uns und unsere Lebensweise nachdenken und uns neu ausrichten, um entsprechend gegensteuern zu können. Leider erlauben sich viele erst nach einem körperlich-psychischen Zusammenbruch und einer damit einhergehenden Burnoutdepression, Zeit für sich und diese lebensbedeutsamen Fragen zu nehmen. Meditation könnte hier schon viel früher Abhilfe schaffen, weil wir dabei stetig üben, schneller und unvoreingenommener in direkten Kontakt mit uns selbst und der Umwelt zu treten.

Die Entspannungsantwort des Körpers bei Meditation

Physiologische Entspannung ist eine Seite von Meditation und zwar eine relativ nebensächliche. Sie ist sozusagen eine Dreingabe, die sich von selbst einstellt. Doch vorweg: Was ist Meditation? Oder: was kann man als den gemeinsamen Nenner unterschiedlicher meditativer Praktiken bezeichnen, wenn es um die Stressreduktion geht?

Meditation, die mit einer Entspannungsantwort des Körpers einhergeht findet meist im Sitzen und im Gehen statt. Das bedeutet, sich in Meditationshaltung hinzusetzen und die eigene Aufmerksamkeit bewusst und wiederholt über eine kürzere oder längere Zeitdauer auf einen Meditationsgegenstand auszurichten. Zum Ausgleich von Einseitigkeit wird Sitzmeditation in vielen Traditionen im Wechsel mit Gehmeditation praktiziert. Das Meditationsobjekt kann der Atem sein, das können Visualisierungsübungen sein, das beständige Wiederholen eines Mantras, einer heiligen Silbe oder eins kurzen Gebetes, das Benennen von Bewusstseinsvorgängen oder das Beobachten, resp. „Durchkehren“ des Körpers (bodyscan), wie in der Vipassana-Meditation. Es ist, neben den verschiedenen Formen der Gehmeditation, vor allem die ruhige Sitzhaltung im Meditationssitz und die aktive, wiederholte Fokussierung der Aufmerksamkeit auf ein Meditationsobjekt, welche vielen unterschiedlichen Meditationspraktiken gemeinsam ist.[3. Es gibt durchaus auch Meditationsformen, die man als dynamische Meditationsformen bezeichnen könnte, die zu einer Erregung des sympathischen Nervensystems führen. Von Interesse sind im Folgenden lediglich die beruhigenden Meditationsformen, die das parasympathische Nervensystem anregen. Siehe zu dieser Unterscheidung ausführlich: Fisher, R: A Cartography of the Ecstatic and Meditative States, in: Science, Vol 174 Num 4012 26 November 1971, 897-904.]

Was geschieht dabei? Durch diese Formen der Meditation verlangsamt sich zunächst die Atemfrequenz drastisch, ebenso der Sauerstoffverbrauch. Aufgrund der verlangsamten Atmung wird das parasympathische Nervensystem aktiviert, das für Entspannung zuständig ist. In den ersten zwei bis drei Tagen eines Meditationsretreats werden die Teilnehmer in der Regel sehr oft sehr müde. Der Körper entspannt sich zunehmend. Parasympathikus, Atem- und Herzfrequenz stehen miteinander in Wechselwirkung. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass durch Meditation ein Zustand tiefster Entspannung erreicht wird. Alle Stoffwechselprozesse laufen langsamer ab, der Energieumsatz ist geringer, Atmung und Herzfrequenz nehmen ab, erhöhte Cortisolspiegel werden gesenkt, andere hormonelle Regelkreisläufe, die den Belastungsachsen antagonistisch gegenüberstehen, werden aktiviert. Durch die innige Verzahnung von Atmung und Herzschlag wird durch die Regulation der Atmung auch die ganze Herzkreislauftätigkeit beeinflusst. Zusätzlich senkt die Aktivierung des Parasympathikus die Herzschlagfrequenz direkt am Herzen selbst. Bei Vergleichsuntersuchungen mit anderen Entspannungstechniken, wie z. B. Biofeedback oder Autogenes Training wird in der Regel eine stärkere Reduktion der Herzfrequenz durch Meditation beobachtet. Durchschnittlich wird über eine Verminderung der Herzschlagrate von etwa 7 Schlägen/min. berichtet. In verschiedenen Studien konnte überdies belegt werden, dass sich sowohl der systolische als auch der diastolische Bluthochdruck durch regelmässiges Meditieren kurz- und längerfristig reduzieren lässt.[4. Siehe beispielsweiser: Anderson, JW, Liu, C und Kryscio. RJ: Blood Pressure Response to Transcendental Meditation: A Meta-analysis, in: American Journal of Hypertension, März 2008, Vol. 21, Nr.3, 310-316.]
Betrachtet man die Arbeit des Herzens, so ist jedoch nicht nur die absolute Schlagzahl und der Blutdruck eine wichtige Grösse, sondern auch der Wechsel von langsamen zu rascheren Schlagepisoden. Ein gesundes und stabiles Herzkreislaufsystem kennzeichnet sich geradezu durch die Fähigkeit rascher Anpassungen in den Schlagabfolgen an veränderte Anforderungen, die wiederum durch die Atemfrequenz moduliert werden. Durch entsprechende Atemrhythmen lassen sich auch Modulationen der Herzfrequenzvariabilität beeinflussen, wodurch wiederum eine Synchronisierung der gesamten das Herz und die Gefässe betreffenden Systems geschieht, dessen Konsequenz eine gesteigerte Fähigkeit des Systems ist, auf entsprechende Anforderungen der Umwelt zu reagieren.[5. Siehe insbesondere: Oken, Barry S.: A Systems Approach to Stress and Resilience in Humans: Mindfulness Meditation, Aging, and Cognitive Function, 2016. Dissertations and Theses. Paper 2700.]

 

 

Eine Antwort

  1. Danke für den kurzen und klaren Artikel. Ich wusste schon lange, dass Meditation mir in meinem hektischen, stressigen Alltag gut tun könnte. Jetzt fang ich damit an!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert