Autor: Peter Widmer

Wenn Menschen beginnen zu meditieren, sind sie oft sehr euphorisch über diese neue Qualität des Erlebens. Nach einiger Zeit, wenn diese veränderten Wachbewusstseinszustände öfters erlebt werden, tritt eine Gewöhnungsphase ein und in den Dokusans (den Zen-Einzelgesprächen) werde ich dann häufig gefragt: «Wo stehe ich jetzt in meiner Meditation eigentlich?» Im Zen geht es weder darum, wo jemand steht, noch wo er oder sie nicht steht. Das ist irrelevant für die Praxis! Der Weg ist das Ziel. Denn die Übung als solche ist Selbstzweck, nicht Mittel zum Ziel. Daher gilt: «Einfach sitzen! Weiter praktizieren!» Nichtsdestotrotz hat die Standortfrage in Bezug auf die eigene Praxis für die fragende Person auch seine Berechtigung und wir Dharma-Lehrende sollten das akzeptieren und wertschätzen. Häufig beantworten wir diese Standortbestimmungsfrage im Zen mit den 10 Ochsenbildern oder mit den 8 Stufen der Versenkung aus dem Frühbuddhismus. Hier möchte ich auf eine neue Kartographie des reinen Bewusstseins aufmerksam machen, wie sie uns aus der aktuellen Meditationsforschung zugänglich ist.

Reines Bewusstsein

Thomas Metzinger von der Johannes Gutenberg Universität Mainz und Alex Gamma vom Research Department des Universitätsspitals der Psychiatrie Zürich haben in einer online-Studie mittels einem mit 92 Items entwickelten Fragebogen, der in fünf Sprachen zugänglich ist, 3627 Meditierende über ein persönliches Erlebnis reinen Bewusstseins im Kontext ihrer Meditationspraxis befragt.[1. Siehe: Gamma A, Metzinger T (2021): The Minimal Phenomenal Experience questionnaire (MPE-92M): Towards a phenomenological profile of “pure awareness” experiences in meditators. In: PLoS ONE 16(7): e0253694. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0253694] 1403 ausgefüllte Fragebogen erfüllten die von den Wissenschaftlern vorgegebenen Kriterien zur Auswertung für die Studie. Die meisten der Teilnehmenden waren Meditierende aus der frühbuddhistischen Theravada-Tradition (43,9%) und dem Zen-Buddhismus (31,4%).
Das Besondere an reinen Bewusstseinszuständen ist, dass diese frei sind von prägenden kulturellen und persönlichen Konzepten und Erwartungen. Das bedeutet auch, dass die verschiedenen Meditationstraditionen einen gleichen, universalen Kern von Erfahrungen haben. In der Mystik- und Meditationsforschung gibt es diesbezüglich einen kontroversen Diskurs, der bis heute fortgeführt wird. Ich habe diese Diskussion zusammengefasst in meinem Aufsatz Die angelsächsische Mystikdebatte – eine Einführung.
Reines Bewusstsein ist eine egolose Bewusstheit, d.h. es existiert keine 1. Person Perspektive.
Thomas Metzinger und Alex Gamma gelang es, aus den Resultaten ein feinkörniges Modell mit 12 Erlebensdimensionen reiner Bewusstseinszustände im Meditationskontext zu extrahieren. Als Meditierende können wir uns dieses Modell wiederum als Orientierungsmittel zunutze machen, wenn wir uns fragen: «Wo stehe ich denn gerade in meiner Meditationspraxis?» Der einzige Hasenfuss daran: Wenn wir unsere Erfahrungen während der Meditation benennen, dann verschwindet damit auch die entsprechende Erfahrung! Diese Kartographie kann uns dazu dienen, rückblickend nach der Meditation darüber klar zu werden, in welchen der 12 Dimensionen wir unterwegs waren. Vorausblickend können wir uns darauf ausrichten, welche Erlebnisdimensionen uns während der Meditation vom «Schicksal» geschenkt werden könnten. Denn bekanntlich lassen sich solche tiefen Meditationszustände nicht gezielt herstellen. Sie widerfahren uns, sind Geschenke des Universums. Wir können lediglich durch unsere Praxis den Boden dafür bereiten, dass sie sich einstellen können und uns von ganzem Herzen dankbar darüber freuen, wenn sie da waren. Insofern können wir uns darauf ausrichten und sie uns wünschen.

1. Zeitempfinden, mentale Anstrengung, Absichten verfolgen (Duale Achtsamkeit)

Wir erleben uns selbst als Meditierende, haben ein Ziel und da ist eine mentale Anstrengung, z. B. unsere Aufmerksamkeit auf das Meditationsobjekt (den Atem, ein Koan, ein Mantra, eine Visualisierung, etc.) zurückzulenken. Der Geist und ev. auch der Körper bewegt sich, etwa wenn man sich einrichtet auf dem Sitzkissen. Daher ist auch ein Bewusstsein vorhanden, dass die Zeit vergeht. Gelegentlich kann sich plötzlich auch eine reine Bewusstheit einstellen, doch handelt es sich hierbei meist um eine vorübergehende Erfahrung. Sie widerfährt einem, geschieht jedoch noch nicht vollkommen mühelos und es handelt sich noch nicht um eine vollkommene Absorption des Bewusstseins. Der Entspannungszustand ist noch nicht tief genug. Atem- und Herzrhythmus sind noch zu schnell. Der Parasympathikus noch zu wenig aktiv.
Diese 1. Erfahrungsdimension ist verwandt mit den Dimensionen 7 (Gedankenwandern) und 9 (Aufsteigende Sinneswahrnehmungen, die bemerkt werden). Alle diese Bereiche kann man als Formen dualer Achtsamkeit beschreiben, bei der sich der/die Meditierende als meditierende Person erlebt, eine mentale Anstrengung vorhanden ist, eine Absicht dabei verfolgt wird und das subjektive Erlebnis von Zeit vorhanden ist.

2. Innerer Friede, tiefes Glücksempfinden («bliss») und innere Stille

Dies sind die wohl bekanntesten Erlebnisse während der Meditation, wenn eine tiefe Entspannung durch die Atem- und Herzschlagreduktion bei der Meditation erreicht wird. Eine Leichtigkeit, ein innerer Friede, tiefes Glück und grenzenlose innere Stille tauchen auf. Manchmal wird diese Erfahrung auch als «sanft», «natürlich», «reines Sein» und als eine Erfahrung von «Ganzheitlichkeit» beschrieben. Der Meditierende ist dabei frei von belastenden, alltäglichen Konflikten und Stressoren und erlebt einen erhöhten Integrationsgrad. Dies gilt für alle Zustände in denen keine duale Achtsamkeit herrscht, d. h. also, die nicht gekennzeichnet sind durch mentale Anstrengung, einer ersten Person Perspektive, der Verfolgung von Absichten, wandernden Gedanken und einem Zeitempfinden, welche die inneren Zustände fragmentieren.

3. Einsicht, Wissen, Klarheit

Meditierende erleben eine «Einsicht», ein «Wissen» oder eine «Klarheit», der keine sprachlichen Konzepte zugrunde liegen. Es handelt sich hier um eine nicht-konzeptuelle Einsicht. Man kann auch von einem «reinen Wissen» sprechen, welches ohne Beteiligung jeglicher Art von geistiger oder körperlicher Handlung zustande kommt, ohne bewusstes Gefühl von Kontrolle oder Besitz, ohne Beteiligung eines «Ichs» mit spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen. Auch das autobiografische Gedächtnis ist hier nicht involviert, spielt keine Rolle.
Dabei handelt es sich um einen offenen, unverbauten Innenraum von Wissen, ein Raum, in dem sich potentiell Orientierung und Wahrnehmungsprozesse kreativ entfalten können, in dem Aufmerksamkeit gesteuert und fokussiert werden kann und in dem alle möglichen Konzepte neu gebildet und auf Erfahrungen angewendet werden können.
Es besteht hier ein starker Bezug zu 6. (Helligkeit, klares Licht) und 8. (Leerheit).

4. Wache Präsenz im Hier und Jetzt

Es geht hier um die Erfahrungsdimension Meditierender, vollständig im „Hier“ und „Jetzt“ angekommen zu sein, durchdrungen vom Wachheitscharakter und einem Gefühl des „einfach Seins“. Man könnte auch sagen, ein immer frisches, waches Bewusstsein des gegenwärtigen Augenblicks.

5. Reines Gewahrsein während des Traumschlafs und traumlosen Schlafs

Gewisse Meditierende erleben ihren nächtlichen Traumschlaf und auch den traumlosen Schlaf bewusst. Diese Form des Erlebens hat auch eine grosse Nähe zum luziden Traum, bei dem man aktiv handelt. Reines Gewahrsein ist jedoch eher passiv und gleicht mehr der Präsenz im hier und jetzt (Dimension 4) und dem Zeugenbewusstsein (Dimension 12) während des Traums und traumlosen Schlafs.

6. Visuelle und nicht-visuelle Helligkeit, klares Licht

Diese Erlebensdimension bezieht sich sowohl auf Erfahrungen nicht-visueller Natur von «Helligkeit», «Ausstrahlung» und «Lebendigkeit», als auch auf visuelle innere Erfahrungen von Helligkeit, hellem Licht bei geschlossenen Augen.
Gemäss klassischen Buddhistischen Texten bezieht sich dieses klare Licht direkt auf 3 (Einsicht, Wissen, Klarheit).

7. Spontan entstehende Gedanken, Gefühle, innere Bilder, Erinnerungen, Simulationen der Zukunft (Duale Achtsamkeit)

Hierbei handelt es sich um eine klassische Meditationserfahrung bei der das sog. “Default Mode Network” (das Netzwerk für wandernde Gedanken, Träume, Phantasien) aktiv ist. Es gibt hierbei Zeiterfahrungen, Erinnerungen aus dem eigenen Alltag und der eigenen Biographie. Der Raum des stillen, weiten Gewahrseins, in den der Meditierende sich niederlassen will, ist mehr oder weniger getrübt. Der Vordergrund des Bewusstsein oder der Hintergrund –  je nachdem, welche der beiden Dimensionen stärker ist –  ist getrübt durch mentale Inhalte und Aktivitäten. Auch hier handelt es sich wie bei 1. um eine duale Form der Achtsamkeit.

8. Leere, Absorption und egoloses Selbstbewusstsein

Leere ist hier nicht räumlich zu verstehen. Es handelt sich nicht um ein «räumliches Vakuum», das erlebt wird. Der Begriff der «Leere» (suññatā in Pali) ist ein vieldiskutiertes Konzept der buddhistischen Philosophie, das von Wissenschaftlern und Praktizierenden seit weit mehr als zweitausend Jahren diskutiert wird. Aus dieser Philosophischen Perspektive bedeutet „Leere“, dass weder das Ich, noch die Dinge substanziell sind, sondern immer wieder neu aus Relationen und deren Wechselwirkungen hervorgehen und vergehen. Bezüglich des inneren Erlebens in der Meditation bezieht sich „Leere“ auf die bewusste Erfahrung der Dinge ohne die geringste Spur von sprachlicher Segmentierung. „Leere“ bezieht sich hier auf eine Erfahrung von Einheit oder Absorption. Ein „Ich“ im Strom der Zeit mit einer eigenen Biographie und einer Lokalisierung in einem dreidimensionalen Raum ist in solchen Zuständen vollkommen in den Hintergrund der Aufmerksamkeit getreten oder wird punktuell total vergessen. Es besteht ein kristallklares Wahrnehmen und Verbunden sein mit den Dingen aus zeitloser und begriffsloser Stille. Daher kann man auch von einem egolosen Selbstbewusstsein sprechen.

9. Sinneswahrnehmungen im Körper und Raum

Sinnesqualitäten, Bewegungsempfindungen und bewusste Körpererfahrungen werden erlebt. Das reine Bewusstsein kann somit mit Wahrnehmungsinhalten einhergehen. Schon viele Jahrhunderte haben Meditierende von Zuständen direkter Wahrnehmungen beim Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen berichtet. Dieses reine, durch die Sprache nicht verstellte sinnliche Gewahrsein des eigenen Körpers und der Dinge hat eine interessante Qualität: die Erfahrung der „So-heit“, des „So-Seins“, des Unaussprechlichen der Dinge. Es ist, als ob man die Dinge mit „neuen Augen“ oder „das erste Mal“ sieht. Die Dinge haben etwas Unaussprechliches. Ihre „Einzigartigkeit“ und „Besonderheit“ wird erfahren.

10. Der gesamte Körper berührt die Welt und wird von ihr berührt

Dieses wechselseitige berühren und berührt werden ähnelt einem taktilen Erlebnis. Zuweilen wird diese Erfahrung auch beschrieben als Erfahrung reinen Bewusstseins, das deinen Körper durchdringt, z. B. „wie ein Feld, das auch alle anderen Gegenstände und Lebewesen durchdringt“.

11. Subtile Formen mentaler Aktivität (Duale Achtsamkeit)

Meditierende merken, wenn mentale Aktivitäten beginnen. Dies ist eine subtile Form der Selbstwahrnehmung, bei welcher das „Ich“ beteiligt ist. Man ist sich beispielsweise der Tatsache bewusst, dass man gerade meditiert und ist sich seiner Möglichkeiten bewusst, die Aufmerksamkeit aufrecht erhalten zu können, wach bleiben zu können und die Aufmerksamkeit bewusst lenken zu können. Ein Bewusstsein dieser Möglichkeiten der Selbstkontrolle ist vorhanden, ein explizites Gefühl geistiger Handlungsfähigkeit, das jedoch nicht begleitet wird von aktueller Kontrolle und Aufmerksamkeitsfokussierung. Auch hierbei handelt es sich um eine Form dualer Achtsamkeit, wie schon bei 1 und 7.

12. Zeugenbewusstsein

Hierbei handelt es sich um einen Begriff aus dem Advaita Vedanta (Skr.: sākṣin), der offenbar eine reale Erfahrung wiedergibt. Zeugenbewusstsein ist das, was alles Wissen ermöglicht. Es kann nicht selbst Gegenstand der Erkenntnis sein. Sämtliche Erfahrungsinhalte werden aus der Perspektive des Zeugen erfahren, als eines Beobachters, der nicht wirklich ein beobachtendes Subjekt ist, sondern eher eine zeitlose, absolut egolose, wissende Präsenz. Die Welt wird gespiegelt von einer alles erfassenden Qualität unendlichen, nicht-wählenden und nicht-konzeptuellen Wissens.

Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

1. Wechselwirkungen zwischen wandernden Gedanken (dualistischer Achtsamkeit) und dem Strom reinen Bewusstseins (non-dualistischen Zuständen)

Gedankenwandern (Dimension 7), so Metzinger und Gamma, ist verbunden mit einem unglücklichen Bewusstsein (siehe dazu z. B. die Forschungen von Killingsworth). Daher, so folgern die Forscher, kann es nicht zusammen mit der 2. Dimension (Innerem Frieden/Stille und tiefem Glück) auftreten. In der Tat kann man bei der Meditation wandernden Gedanken die emotionale Energie entziehen, indem man die Aufmerksamkeit zurück lenkt auf sein Meditationsobjekt (z. B. den Atem, ein Mantra, ein Koan, Metta-Sätze, eine Visualisierung, etc.).
Studien mit Langzeitmeditierenden zeigen, dass diese besser von wandernden Gedanken loskommen können, als Meditationsanfänger und Nicht-Meditierende.[2. Siehe: Brandmeyer T., Delorme A. Reduced mind wandering in experienced meditators and associated EEG correlates. In: Exp Brain Res. 2016 Nov 4.] Auch ein gewisses Ausmass an Schmerzen während der Meditation kann helfen, wenn man sie mit dem Meditationsobjekt verbindet oder zum Meditationsobjekt macht, um von wandernden Gedanken loszukommen.
Doch die Wechselwirkungen zwischen wandernden Gedanken in der Meditation und gelenkter, meditativer Aufmerksamkeit sind weit vielfältiger und bergen sehr viel mehr Potentiale, als während der Meditation gemeinhin ausgeschöpft werden, da die herkömmlichen Meditationsanleitungen diese Potentiale gar nicht im Blick haben. Jonathan Schooler und seine Mitarbeitenden von der Universität von Kalifornien zeigen in: Der Mittlere Weg: eine Balance finden zwischen Achtsamkeit und Gedankenwandern, dass sowohl Meditation wie auch Gedankenwandern, ihre Vor- und Nachteile haben können und dass Meditation/Achtsamkeit und Gedankenwandern im Wechsel sehr sinnvoll, kreativ und problemlösend sein können. [3. Siehe: Jonathan W.Schooler, Michael D.Mrazek, Michael S.Franklin, Benjamin Baird, Benjamin W.Mooneyham, Claire Zedelius James, M. Broadway: The Middle Way: Finding the Balance between Mindfulness and Mind-Wandering, in: Psychology of Learning and Motivation, Volume 60, 2014, S. 1-33.] Wandernde Gedanken und Phantasien tendieren von sich aus zur Schliessung offener Gestalten. Die herkömmlichen Meditationsanleitungen und -praktiken unterdrücken tendenziell diese kreative Aktivität, indem wandernde Gedanken als “reine Hindernisse” bei der Meditation betrachtet werden, die es gilt, aus dem Weg zu räumen, um Zustände reinen Bewusstseins zu kultivieren. Doch wandernde Gedanken treten ganz natürlich immer wieder auf. Das neuronale Netzwerk für wandernde Gedanken, das sog. “Default Mode Network”, entwickelt sich langsam im Kindesalter und dient u. a. auch dazu, kognitive Fähigkeiten zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Meditierende befinden sich während eines Sesshins oder Retreats ohnehin häufig in einem ständigen Wechsel zwischen wandernden Gedanken, Phantasien und Zuständen reinen Bewusstseins. Es erscheint mir daher angemessener, mit William James von einem sich ständig verändernden Bewusstseinsstrom während der Meditation zu sprechen, in welchem unterschiedliche Zustände, wie sie hier beschrieben werden, einander abwechseln.
In den tiefenenspannten Meditationszuständen sind wandernde Gedanken viel kreativer als im Alltagsbewusstsein, da die habitualisierten, automatisierten Muster wandernder Gedanken, wie sie im Alltag auftreten, in tiefer Meditation durchbrochen und deautomatisiert werden können.[4. Siehe: Arthur Deikman: Deautomatization and the mystic experience. In: Psychiatry 1966, No. 29, S. 324-338.] Es bilden sich neue Assoziationen und die Gestaltschliessung berücksichtigt Dinge, die im Alltag nicht im Fokus der Aufmerksamkeit lagen. Zudem ist die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit zu lenken und auf etwas zu halten im tiefenentspannten reinen Bewusstsein viel einfacher, als im Alltag. Dinge können bewusst unters «Mikroskop der Aufmerksamkeit» gelegt und untersucht werden. Aus dem Zeugenbewusstsein (Dimension 12) in Verbindung mit subtiler geistiger Aktivität (Dimension 11) lassen sich die Dinge aus einer Metaebene einfach betrachten und in ihrem Sosein akzeptieren. Faktoren ihres Zustandekommens lassen sich untersuchen und psychische Tendenzen, Persönlichkeitsanteile lassen sich feststellen und mit der Meditationspraxis verbinden. Wandernde Gedanken können während der Meditation nicht nur zu einem unglücklichen Bewusstsein, sondern auch zu Glückszuständen führen! Dies hängt ganz vom Inhalt der Wandergedanken und Phantasien ab. Wenn Menschen während der Meditation ein Interesse mit den wandernden Gedanken und Phantasien verbinden, das in Glückszustände führt oder bei welchen ressourcenreiche Zustände und positive Emotionen hervorgerufen werden, dann können wandernde Gedanken zu einer Vertiefung von Glückszuständen während der Meditation führen. Darüber hinaus können sie genutzt werden zur Selbstklärung, zu Problemlösungen, für Zukunftsplanungen, u. v. m. – je nachdem welche Persönlichkeitsanteile sich dabei äussern. Wandernde Gedanken können auch gelingend mit Meditationspraktiken verbunden werden, indem die diesbezüglichen Inhalte explizit auf die Ebene des «Absoluten», dessen, Worumwillen man übt, bezogen werden.
Zu viel wandernde Gedanken und Phantasien während der Meditation bergen aber auch Gefahren: dadurch kann sich auch das alltägliche Gedankenwandern verstärken. Die eigene Egozentrik kann dadurch gefördert werden, statt dass sie abgebaut wird durch die Meditation. Insbesondere dann, wenn wir im Alltag und während der Meditation in Grübelgedanken oder Kathastrophenpantasien absorbiert sind, über stressgeladene Probleme und Schwierigkeiten nachdenken oder ständig in eigene Vorhaben und Projekte und deren Verwirklichung versunken sind. Das kann dazu führen, dass wir zu sehr mit uns selbst, also der 1. Person Perspektive, beschäftigt sind und uns immer weniger fürsorglich und offen uns selbst und anderen Menschen zuwenden, also weniger die 2. Person Perspektive einnehmen. [4. Siehe: Hooria Jazaieria, Ihno A. Leeb, Kelly McGonigalc, Thupten Jinpac, James R. Dotyc,d, James J. Grossb and Philippe R. Goldine: A wandering mind is a less caring mind: Daily experience sampling during compassion meditation training, in: The Journal of Positive Psychology, 2016, Vol. 11, No. 1, 37–50, http://dx.doi.org/10.1080/17439760.2015.1025418]

2. Reines Bewusstsein und die Brahma Viharas (Grenzenlosen Zustände)

Metzinger und Gamma betonen, dass die Erfahrung reinen Bewusstseins «kein emotionaler Zustand ist, jedoch gewiss ein grossen Spektrums vom positiven emotionalen Zuständen dadurch ausgelöst werden können, wie tiefe Freude, existenzielle Befreiung, Dankbarkeit, unpersönliche Liebe, tiefe Staunen über das Wunder dessen, was erfahren wird». Schaut man sich die 92 Items des Fragebogens an, so findet man «positive Stimmungen», «Sanftmut», «Emotionen», «Friede», «Gelassenheit», und «Staunen» als Benennungen emotionaler Zustände, die in Items abgefragt werden. Die sog. Grenzenlosen Zustände (Siehe dazu den Blogbeitrag über die Brahma Viharas: Pali:Metta – Liebende Güte, Liebe, Freundschaft, Pali: Upekkha – Gelassenheit, Pali: Mudita – Mitfreude und Pali: Karuna – Mitgefühl), wie sie in Buddhistischen Traditionen in Verbindung mit reinen Bewusstseinszuständen kultiviert werden, finden in diesem Fragebogen keine Berücksichtigung. Dabei sind doch gerade Erlebnisse reinen Bewusstseins in diesem Kontext unmittelbar mit Erfahrungen von Liebe/Bodhicitta verbunden und können meines Erachtens nicht getrennt davon betrachtet werden. Liebe ist direkt mit der Ausschüttung von Oxytocin im Gehirn und im kleinen neuronalen Netzwerk des Herzens verbunden und daher jedem Menschen zugänglich. Folglich macht es keinen Sinn, diese “unbegrenzten Zustände” aus der Dimensionen des Erlebens reinen Bewusstseins in einem Fragebogen auszuschliessen. Die vier grenzenlosen Zustände sind duale Zustände die sich auf sich selbst, andere Menschen und alle fühlenden Lebewesen richten. Sie werden im Medium reiner Bewusstseinszustände praktiziert und sollten daher neben den Zuständen dualer Achtsamkeit – Dimensionen 1, 7 und 11 – gleichermassen mit einbezogen werden, insbesondere da es sich hierbei um die Kultivierung von ressourcenreichen Zuständen handelt.

Eine Antwort

  1. Hoi Peter
    Danke für diesen Beitrag!
    Ich finde ihn sehr hilfreich.
    Gerade der Abschnitt „Wechselwirkungen zwischen wandernden Gedanken (dualistischer Achtsamkeit) und dem Strom reinen Bewusstseins (non-dualistischen Zuständen)“ gefällt mir.
    Es ist immer wieder überraschend für mich, wie aus dem Gedankenwandern (sofern ich dieses in seinem Entstehen nicht verurteile) Glücksgefühle entstehen können.
    Danke!

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