Autor: Peter Widmer

Die meisten Menschen, die unter Schmerzen leiden, versuchen den Schmerz zu analysieren, Schmerzen auszuweichen, indem sie sich auf andere Dinge konzentrieren und zu ignorieren. Verschiedene Meditationspraktiken, wie beispielsweise die Zen-Meditation, aber auch die Achtsamkeitsmeditation der Vipassanameditation, sowie das MBSR-Training, gehen einen ganz anderen Weg.

Akzeptierender Umgang mit dem Schmerz

Bei all diesen Meditationsformen wird der Aufmerksamkeitsfokus bewusst auf den Schmerz gelenkt und man begegnet ihm mit Neugierde und Akzeptanz. Anstatt sich in den üblichen Bewertungen, Reaktionen und Ablenkungsmanövern zu verlieren, bringt man sich in der Meditation mit dem Schmerz im gegenwärtigen Augenblick – meist in Verbindung mit dem Meditationsobjekt, z. B. dem Atem – in Kontakt. Der Schmerz erhält in der Meditation bewusst aktive Aufmerksamkeit und wird auf diese Weise neutral betrachtet, ohne dass eine grosse Geschichte darum herum erzählt wird und ohne dass man versucht, sich durch anderweitige Tätigkeiten oder Ausweichmanöver davon abzulenken. Dadurch kann sich der Leidensdruck senken. Dies ist eine Erfahrung, die viele Meditierende üblicherweise auf dem Meditationskissen machen, wenn sie an einem mehrere Tage dauernden Retreat teilnehmen. Dabei ist sowohl für Fortgeschrittene, wie auch für Anfänger erlebbar, wie die Schmerzempfindlichkeit abnimmt und wie sich beispielsweise Verspannungsschmerzen aufgrund der Entspannungsreaktion bei der Meditation plötzlich vollkommen auflösen können. Diese Effekte wurden in wissenschaftlichen Forschungen eingehend untersucht.[1. Siehe dazu und zum Folgenden: Gard, T, Hölzel, BK, Sack, AT, Hempel, H, Lazar, SW, Vaitl, D, & Ott, U: Pain attenuation through mindfulness is associated with decreased cognitive control and increased sensory processing in the brain, in: Cerebral Cortex, online veröffentlicht am 15. Dezember 2011. Siehe aber auch: Perlman, DM et al: Differential Effects on Pain Intensity and Unpleasantness of Two Meditation Practices, in: Emotion, 2010, Vol. 10, No. 1, 65–71.]
In einer Studie von Forschern des Bender Institute of Neuroimaging in Gießen wurden 34 gesunde Probanden – die Hälfte von ihnen erfahrene Achtsamkeitsmeditierende in die Röhre eines Kernspintomographen gelegt. Sie erhielten ungefährliche elektrische Schmerzreize und wurden aufgefordert, den Schmerzreizen mit verschiedenen „inneren Haltungen“ zu begegnen: einmal in einem Zustand der oben beschriebenen Achtsamkeit und dann in einem neutralen alltagsüblichen Zustand. Es zeigte sich, dass erfahrene Meditierende im Zustand der Achtsamkeit Schmerzreize anders interpretierten: Sie empfanden den Schmerz zu 22 % weniger unangenehm, und die Angst vor dem nächsten Schmerzreiz war um 29 % vermindert. Dies gelang ihnen, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Schmerzen konzentrierten, diese aber nicht aktiv bewerteten: In der funktionellen Kernspintomografie waren Areale, die für die sensorische Verarbeitung des Reizes zuständig sind, stärker aktiviert. Die Aktivierung in den seitlich-präfrontalen Arealen des Gehirns, in denen eine kognitive Neu-Interpretation des Schmerzes stattfindet, war dagegen vermindert. Die Probanden spürten den Schmerz also durchaus, empfanden ihn jedoch nicht als so belastend. Diese Strategie scheint vielen Patienten bei der Schmerzverarbeitung zu helfen. In dieser Studie berichteten viele Patienten, dass der Stress sinkt, der durch ihre jeweilige Krankheit ausgelöst wird, während sich Lebensqualität und Wohlbefinden verbessern. Ähnliche Studien belegen ähnliche Resultate, die mit Zen-Praktizierenden und entsprechenden Kontrollgruppen durchgeführt wurden.[2. Grant, JA, Rainville, P: Pain Sensitivity and Analgesic Effects of Mindful States in Zen Meditators: A Cross-Sectional Study, in : Psychosomatic Medicine 71, 2009, 106–114.] In einer Studie von Grant et al. wurden 13 lanzeitmeditierende Zen-Praktizierende mit 13 nicht-meditierenden Probanden verglichen. Dabei wurde festgestellt, dass langjährige Zen-Meditierende sowohl im Bereich sinnlicher Wahrnehmung, als auch im Bereich der affektiven Verarbeitung von Schmerzen, signifikant geringere Schmerzempfindungen haben, als die nicht meditierende Kontrollgruppe, egal ob sie sich im Zustand der Meditation befanden oder ob sie nicht meditierten. Dabei scheint die Schmerzlinderung mit dem herabgesetzten Atemrhythmus einherzugehen. Eine Folgestudie legte nahe, dass die verminderte Schmerzempfindlichkeit das Produkt einer veränderten Gehirnmorphometrie ist.[3. Grant, JA, Courtemanche, J, Duerden, EG, Duncan, GH, Rainville, P: Cortical thickness and pain sensitivity in zen meditators, in: Emotion. 2010 Feb;10(1):43-53.] Eine Studie aus dem Jahr 2008 mit älteren Erwachsenen, allesamt chronische Schmerzpatienten mit Schmerzen im unteren Rückenbereich, kommt ebenfalls zu positiven Resultaten bei der Schmerzreduktion durch Meditation.[4. Siehe : Morone, NE: Mindfulness meditation for the treatment of chronic low back pain in older adults: A randomized controlled pilot study, in: The journal of pain : official journal of the American Pain Society, 2008; 134(3), 310–319. Sowie ebenfalls dazu die Tagebuchauswertung von 27 Teilnehmern: Morone N E et al: “I felt like a new person.” the effects of mindfulness meditation on older adults with chronic pain: qualitative narrative analysis of diary entries, in : The journal of pain : official journal of the American Pain Society, 2008, 9(9), 841-848. Vergl. auch: Zeidan, F., Emerson, N., Farris, S., Ray, J., Jung, Y., Kraft, R.A., McHaffie, J.M., & Coghill, R.C. (2015). Neural mechanisms supporting mindfulness-based pain relief as compared to placebo analgesia and sham mindfulness meditation, in: Journal of Neuroscience, 35(46), 15307-15325. Zeidan, F., Lobanov, O.V., Kraft, R.A., & Coghill, R.C. (2015). Brain mechanisms supporting violated expectations to pain, in: PAIN, 156(9), 1772-12785; Grant, J.A. & Zeidan, F. (in press). Mindfulness meditation modulates the conscious experience of pain: A neuroscientific account. Zeidan, F., & Grant, J.A. (in press). The neurobiology of meditation-related pain relief as compared to hypnosis-induced analgesia, in: Hypnosis and Meditation: Bridging Domains of Contemplative Science.] Es handelt sich dabei um 37 Testpersonen, die alle über 64 Jahre alt waren und deren chronische Rückenschmerzen mindestens drei Monate andauerten und täglich oder nahezu täglich von mindestens moderater Stärke waren. Als nicht-pharmakologische Schmerzbehandlung wurde Meditation in einem 8 Wochen dauerenden Programm mit eingesetzt. Drei Monate danach wurde eine follow-up Untersuchung durchgeführt. Einige Teilnehmer der Studie berichteten, dass sie sich aufgrund der Meditationsübungen besser konzentrieren können und dass die Meditationspraxis unmittelbar positive Auswirkungen auf ihre Befindlichkeit und langfristig auf die Qualität ihres Lebens habe. Einigen gelang es, dadurch schneller einschlafen zu können und sie berichteten, dass ihre Schlafqualität sich verbessert habe. Die Forscher schliessen ihre Studie, indem sie festhalten, dass Meditation ein vielversprechendes Potential sowohl für ältere als auch jüngere chronische Schmerzpatienten besitze.

(c) Peter Widmer

Eine Antwort

  1. Mit meiner chronischen Krankheit habe ich begonnen zu meditieren und ich merke, es wirkt. Einfach so. Ich fühle den Schmerz tatsächlich nicht mehr so intensiv und lerne immer wieder, akzeptierender damit umgehen zu können. Dazu verhilft mir die Meditation. Von daher kann ich aus meiner eigenen Erfahrung die Aussagen in diesem Beitrag nur bestätigen.
    J

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